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- Geschrieben von Christian Kelter
- Veröffentlicht: 14. August 2016
Schauen wir uns die einzelnen Positionen doch einmal an:
In den meisten unserer Gemeinden steht die Kirche noch im Dorf. Zwar haben wir selten mit überlaufenen kirchlichen Anlässen zu kämpfen. Eine gefühlte Mehrheit schätzt aber das kirchliche Leben und somit auch das Kirchengeläut. Es gehört dazu. Es ist Tradition. Es vermittelt Heimat. Es ist schön. Wo kommen wir denn hin, wenn wir nach und nach alle Traditionen in Frage stellen?
Besonders frech ist es, dass es in vielen Fällen Neuzuzüger sind, die sich über nächtliches Läuten beschweren und die dann versuchen, ihre Nachbarschaft zu mobilisieren, es ihnen gleich zu tun. Und auch wenn neuerdings sogar ETH-Studien bemüht werden, um die Argumente sachlich zu stützen, es bleibt alles in allem eine sehr subjektive Wahrnehmung. Man kann sich an Dingen stören. Man muss es aber nicht.
Andererseits: Wer von uns braucht nachts das Läuten der Glocken? Mal ehrlich: Und wer betet denn noch, wenn um 6 Uhr das Angelusgeläut erklingt? Geht nicht die Nachtruhe solcher Tradition vor? Und ist wirklich gleich die Tradition gefährdet, wenn der Glockenschlag jede Viertelstunde ausbleibt? Gibt es nicht in jeder Demokratie auch einen Minderheitenschutz? Und eines noch: Warum wird man den Verdacht nicht los, es ginge bei der ganzen Diskussion um Machtfragen? Die Kirche möchte mit ihrem Läuten Präsenz zeigen. Sie möchte in der Mitte der Gesellschaft stehen, obwohl sie genau das schon lange nicht mehr tut!
Vielleicht merken Sie: Meine Argumente (pro & contra) überzeugen mich alle selbst nicht so ganz. Und sie mit Leidenschaft vorzutragen fiel mir schwer.
Ich glaube aber, dass es eben um etwas ganz anderes geht. Und das ist spannend und wichtig! Es geht um genau das, wovon Jesus im Evangelium spricht. Die Zeiten sind unruhig. Wir sind in einem Umbruch. Altes, Vertrautes trägt nicht mehr recht. Neues, Wegweisendes ist noch nicht in Sicht. Wir sind wie Jugendliche in der Pubertät. Die Welt liegt grösser und bunter als sie je war vor uns. Wir müssen und wir möchten eigene Wege gehen. Dabei ahnen wir, die Lebenskonzepte von gestern sind dem nicht gewachsen. Wir fühlen uns weder der Gegenwart, geschweige denn der Zukunft gewachsen. Könnten wir es wagen ehrlich zu sein, würden wir das zugeben. Stattdessen werden wir emotional. Drei stehen gegen zwei und zwei gegen drei. (Lk 12, 52)
Auch Jesus leidet an dieser Spaltung. Aber er weiss, nur wenn wir uns dem Diskurs stellen, werden wir uns letztlich auch gut entscheiden können.
Und darum geht’s! Dass wir uns bewusst entscheiden. Dass wir nicht etwas tun, weil wir es schon immer so gemacht haben oder weil wir es subjektiv schön finden.
Bevor wir etwas tun, sollten wir uns überlegen, warum wir es tun möchten!
Wollen wir das, was wir von der Botschaft Jesu verstanden haben, leben und in diese Gesellschaft einbringen oder wollen wir das lieber nicht? Und wenn wir es wollen, wie können wir es tun? Wie können wir es wirksam und überzeugend tun?
Ich bin überzeugt, wir könnten als Christen wichtige und wirksame Mitglieder unserer Gesellschaft sein. Wir könnten Brückenbauer in die Zukunft sein. Dazu braucht es Achtsamkeit, Mut und Kompetenz. Es braucht bessere Bildung in Sachen Religion - in unseren Familien, in unseren Schulen und Gemeinden. Wir brauchen ein neues Nachdenken über Religion, eben weil wir fortwährend merken, dass Religion eben doch nicht nur privat ist.
Vielleicht dürfen wir sogar dankbar sein, dass Menschen unser Glockengeläut infrage stellen. Es kann uns animieren, darüber nachzudenken, was wesentlich ist und was Jesus von uns möchte. Es geht um mehr, als um Schall und Rauch!